Herausforderungen II

 

Meint Ihr, daß er jemals wiederkommt oder sollten wir schon mal die Rettungsstelle
benachrichtigen ?" fragte Rafe.

"Keine Ahnung und es ist mir auch egal", lallte der beschwipste Brown. "Schschau,
wers'n das ?" Er zeigte auf eine große, langbeinige Erscheinung ganz in Blau, die
soeben aufgetaucht war und geradewegs auf ihren Tisch zusteuerte. Das anmutige
Geschöpf wurde hin und wieder aufgehalten von der handgreiflichen Bewunderung
der Gäste, an denen sie vorüber mußte. Der Po des armen Mädchens würde
morgen sicher grün und blau vor lauter Kniffen sein, die sie erdulden mußte, dachte
Braun bei sich.

Als die junge Dame den Tisch vor ihnen passieren wollte, streckte ein
korpulenter Herr seinen Arm aus, schlang ihn um ihre Taille und zog sie zu sich auf
den Schoß. Sie wehrte sich ganz entschieden dagegen, als er sie zu küssen
versuchte. Große blaue Augen starrten Jim unter langen, pechschwarzen Wimpern
flehendlich an.

Ärgerlich trat Jim auf den Nachbartisch zu: "Die Lady ist nicht interessiert", erklärte
er klipp und klar und nahm das junge Mädchen bei der Hand.

Der dicke Klotz lachte nur schallend und störte sich nicht an der lästigen
Beeinträchtigung, sondern verwandte seine Aufmerksamkeit darauf, seinen "Fang"
zu umwerben. Seine "Beute" jedoch hatte andere Vorstellungen. Sie schnellte den
Kopf blitzschnell nach vorne und knallte ihre Stirne gegen die Nase des
Eroberers, wobei sich noch einige Löckchen mehr aus ihrem Haarknoten löste.

Jaulend ließ der Lädierte sie los. Jim nahm ihre Hand um sie zu stützen als sie sich
schwankend auf ein Paar ziemlich seltsame Plateau - Schuhe erhob.

 "Alles OK ?" fragte Jim besorgt.

 Die junge Dame nickte.

 Jim wollte sich zurückziehen, als er abermals ihren Blick erhaschte.

 Himmelblaue Augen sahen ihn an, als die Frau unsicher auf den vollen,
 knallroten Lippen kaute. "Sandburg?" Jim beugte sich näher zu ihm hin.

"Niemals !" protestierte Brown während er die wohlgeformte Erscheinung
anstierte, die ganz in Gold und Seide gehüllt war.

"Natürlich ist das Sandburg", beharrte Jim, der zwar nicht das Aussehen,
aber die charakteristische Ausstrahlung seines Führers erkannte.

"Blair ?" Rafe versuchte die überwältigende Vision vor seinen Augen mit dem
Erscheinungsbild des kleinen haarigen Partners von Detective Ellison in
Einklang zu bringen.

"Du liebe Güte, kann ich mich *bitte* endlich hinsetzen ?" bettelte Blair.

"Ich bin mir nicht sicher, ob Du das wirklich *kannst* in diesem Aufzug !"
erwiderte Jim augenzwinkernd.

"Gib es dran, Ellison und helf mir endlich !" Der typische Sandburg'sche
Zorn in seiner Stimme räumte bei Rafe und Brown jeden Zweifel daran aus,
daß Jim recht hatte: dies war ihr eigensinniger Menschenkundler.

Jim zog einen Stuhl heran und half Blair es sich darin bequem zu machen. Der
junge Mann seufzte erleichtert. "Mensch, diese Schuhe sind absolut *nicht*
dazu geeignet darin zu laufen !" Er versuchte die Fußfoltern abzustreifen
aber sie waren zu stark festgeschnürt. Nach einem erfolglosen Versuch sich
hinab zu beugen, gab Blair resigniert auf: "Zufrieden?" fragte er die
Polizisten.

"Und wie", kicherte Brown: "Du bist vielleicht ein Anblick, Sandburg!"

"Halt die Klappe, Henri," keifte ihn Blair an.

"Du schaust wirklich verdammt aus wie ein Weibsbild, Sandburg, aber ich wette,
außerhalb dieser Bar kämst Du damit nicht durch", stichelte Rafe mit einem Hauch
von neuerlicher Herausforderung in der Stimme.

"Weshalb sollte ich auch, Rafe?" Blair kippte den Drink hinunter, den Jim
ihm vorgesetzt hatte: "Ist das nicht schon Erniedrigung genug ?"

"Komm schon Blair. Sei ein Sportsmann !" schmeichelte Rafe: "Du hast zwar
einen recht guten Eindruck gemacht, als Du vorhin hier herüber spaziert
bist, aber schließlich weiß ja jeder, daß in dieser Bar die Damen nicht
echt sind."

"Du wußtest es nicht !" erinnerte ihn die Vision in blau.

"Mich hast Du tatsächlich getäuscht" lächelte Brown.

"Als ob das schwer wäre" schnaubte Blair: "Jim, bitte greif' ein ! Helf
mir!"

"Was ist denn los? Ich dachte Du hättest keine Angst, wenn es darum geht,
derartige Herausforderungen anzunehmen." Jim grinste seinen Partner breit
an. Er war nicht gewillt ihm zu einfach aus der Patsche zu helfen.

Blair seufzte. "Ich habe meinen Teil zu dieser Mutprobe geleistet"
protestierte er: "Kann ich jetzt endlich aus diesem >Outfit< heraus ? Ich
brauche diesen Dummköpfen nichts mehr zu *beweisen*." Mit Hilfe des Tisches
versuchte er sich zu erheben, wurde jedoch von einer Hand auf seinem Arm
daran gehindert.

"Die Vorführung beginnt, Chief", erklärte ihm Jim: "Kann das nicht ein paar
Minuten warten? Ich dachte Du wolltest diesem Kerl auch zusehen?"

Blair murmelte seine Zustimmung während er sich unwillig wieder in seinen
Stuhl niederließ. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Bühne, als die
Attraktion des Abends, der berühmte Hypnotiseur Dr. Naughty, angekündigt
wurde.

Der Mann betrat die Bühne mit der üblichen Geste, indem er den schwarzroten
Umhang wild herum wirbelte, den er über einem farbenprächtigen Smoking mit
rotem Kummerbund trug.

"Ladies and Gentlemen", begann er: "Könnte ich einen Freiwilligen aus dem
Publikum zu mir herauf bitten ?"

Ein junges Fräulein, überredet von ihrem Begleiter, stand auf.

" Wunderbar ! Wunderbar ! Bitte kommen Sie näher, kleine Lady. Nehmen Sie
Platz." Das süße junge Geschöpf ließ sich auf dem Stuhl nieder und sah den
Hypnotiseur nervös an.

"Kein Grund zur Aufregung", versicherte ihr Dr. Naughty: "wie heißen Sie denn?"

"Patty"

"Nun, Patty, dies wird nicht im geringsten weh tun". Der Hypnotiseur grinste, als
das Publikum kicherte.

"Was für ein Humbug!" spottete Jim leise, als das junge Mädchen in Trance
versetzt wurde.

Dr Naughty suggerierte ihr, eine Stripperin zu sein. Unter dem johlenden Beifall
der Zuschauer begann sie sich auszuziehen . Sie öffnete den Verschluß ihres
schwarzen BH's und ließ ihn mit dem Rest ihrer Kleidung zu Boden fallen. Einige
Zeit tanzte sie verführerisch bis Dr. Naughty sie aus der Hypnose weckte.

Sie schrie überrascht auf, als sie bemerkte, daß sie nackt war, verhüllte ihre
Blöße mit den Händen und rannte schnell von der Bühne hinter die schützenden
Vorhänge.

"Das war gestellt" sagte Jim selbstherrlich.

"Wenn Du denkst, daß das ganze Scharlatanerie ist, warum stellst Du Dich
dann nicht als Freiwilliger zur Verfügung ?" machte ihm Brown den Vorschlag.

"Mich *kann* man nicht hypnotisieren" versicherte Jim.

"Um so mehr Grund dafür, sich anzubieten und zu beweisen, was für ein
Scharlatan dieser Bursche ist!" beharrte Rafe.

"Sicher, Jim, Du bist heute Abend an der Reihe Dich zum Narren zu machen"
fiel Blair ein. Geh und zeig uns aus welchem Holz >Du< geschnitzt bist!"

"Wer wird der nächste Freiwillige?" fragte Dr Naughty das Publikum.

Ausgerechnet diesen Moment hatte Jim sich ausgesucht, um seinem Partner für
den vorherigen Kommentar, einen Klaps auf die Stirne zu geben. Der
Hypnotiseur glaubte, die erhobene Hand sollte bedeuten, daß Ellison sich zur
Verfügung stellen wollte. "Wunderbar! Da ist unser nächstes Opf . . . Freiwilliger!"
Das Publikum lachte über den alten Witz.

"Oh, nein! Nein, nein, nein" beharrte Jim als die Assistentin kam, um ihn
auf die Bühne zu holen.

"Mach schon, Jim. Beweise, welch ein Schwindler der Kerl ist". Blair gab dem
Mann einen leichten Schubs um ihn aus dem Sitz heraus zu bekommen.

Jim erhob sich, aber er murmelte eine Warnung als er zur Bühne hinauf
geführt wurde: "Das wirst Du mir büßen, Sandburg...!"

"Machen Sie es sich bequem", forderte ihn Dr. Naughty auf. "Nennen Sie uns
bitte Ihren Namen, Sir."

"Ellison. *Detective* James Ellison." Jim setzte sich auf den Stuhl, ein Bein auf
die Stuhlverstrebung und das andere auf den Boden gestellt. Mit einem Arm auf
das Knie gestützt, beäugte er den Hypnotiseur. "Man kann mich nicht
hypnotisieren" behauptete er entschieden.

"Das höre ich öfter" lächelte Dr. Naughty. "Einfach entspannen und aufpassen..."
Seine beruhigende Stimme summte weiter als der Sentinel sich auf den Klang
konzentrierte.

Jim fühlte, wie seine Sinne langsam in eine Zone hinweg drifteten, die irgendwo
außerhalb zu liegen schien und er es nicht verhindern konnte.

"Meine Damen und Herren..." grinste Dr. Naughty: "Nachdem wir nun Detective
Ellison's vollständige Aufmerksamkeit genießen..." er legte eine kurze Pause ein,
als die Menge wiederum lachte "was schlagen Sie vor, wollen wir ihn tun
lassen ?" Er blickte ins Publikum.

"Hey, ich weiß was!" ließ sich Brown vernehmen: "Mach, daß Ellison
verspricht, seinen Partner zu heiraten!" Er deutete aufgeregt auf Blair.

"Henri!!" Blair protestierte vehement während er mit finsterem Blick zu dem
großen, schwarzen Mann herumschnellte. "Schsch !!" Er schüttelte heftig die
Hand, krampfhaft bemüht, den Polizisten zum Schweigen zu bringen.

"Na komm schon !" ermutigte ihn Rafe "trau Dich zu beweisen, daß Du diese
weibliche Personifizierung Deiner selbst aufrecht erhalten kannst."

Blair wendete sich stirnrunzelnd dem jüngeren der beiden Männer zu: "Und
wie, stellst Du Dir vor, soll ich das machen ?"

"Indem Du Dir von Ellison einen Antrag machen läßt und dann diese Hochzeit
durchziehst!" grinste Rafe.

"Du hast tatsächlich nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wie viel hast Du
eigentlich getrunken ?" Blairs Stimme überschlug sich fast. Er konnte es
kaum fassen.

Rafe grinste ihn dämlich an: "Ich wette, Du traust Dich nicht ! Du hast nicht den
Schneid so was starkes zu tun! Das ist sogar jenseits der Sandburg-Grenze!"

" Nun, meine Herren?" Dr. Naughty lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die
Bühne zurück.

"Bringen Sie ihn dazu, mich um meine Hand zu bitten", wies Blair ihn an,
während er den beiden verdutzten Detektiven einen selbstgefälligen Blick
zuwarf.

Der Hypnotiseur grinste und widmete sein Interesse wieder seinem Medium.
"Hallo Detective Ellison !" Es war keine sichtbare Reaktion zu bemerken: "Sie
sind sehr, sehr verliebt in diese wunderschöne Lady in Blau dort an ihrem Tisch.
Sie werden ihr gleich einen Antrag machen. Willigt sie ein, werdet Ihr Euch in
einer Kapelle trauen lassen."

Dr. Naughty wandte sich an Blair : " Es ist nötig dem Medium einen
Erkennungssatz zu suggerieren, der ihn wieder aus der Trance zurückholt. Da
Der gute Herr Inspektor den Raum hier verlassen wird, werden Sie derjenige sein
müssen, der ihn wieder aufweckt. Wir brauchen also einen Satz, den er nicht hört,
bevor *Sie* ihn aussprechen."

"Wie wär's mit 'Guten morgen, Jim?' schlug Blair vor.

"Perfekt!" Der Hypnotiseur widmete sich erneut seinem Medium: "Wenn Du den
Satz 'Guten morgen, Jim' hörst, wirst Du aus der Trance erwachen und Dich an
alles erinnern, was geschehen ist." Dr. Naughty machte eine kleine Pause um
die Spannung zu erhöhen: "Ich zähle nun von drei zurück, wenn ich bei 'eins'
angelangt bin, wachst Du auf, gehst zu deinem Tisch und machst dort der
wunderhübschen Dame einen Heiratsantrag." Er schaute Jim an und begann
dann mit theatralischen Armbewegungen rückwärts zu zählen: "Drei . . . zwei
. . . eins!"

Jim öffnete blinzelnd die Augen. Er grinste den Hypnotiseur an: " Sehen Sie, ich
wußte, daß Sie mich nicht in Trance versetzen konnten".

Es ertönte ein verhaltenes Gelächter aus dem Publikum.

Jim erhob sich um zum Tisch zurück zu kehren. Dabei blieb sein Blick an Blairs
Augen haften. Dieses kristall klare Blau war das Einzige, was er von da an noch

wahrzunehmen vermochte.


 Als er den Tisch erreichte, kniete er vor seinem
 Partner nieder. Während er Blairs Hand in die seine
 nahm, blickte er den jungen Mann verzückt an:

 "Blair, mein Liebster, würdest Du mir die
 Ehre erweisen, mich zu heiraten?"Er
 flüsterte diese Worte geradezu ehrfürchtig.



Blair warf Rafe und Braun mit gequältem Lächeln einen flüchtigen Blick zu.
Die beiden Dedektive nickten zustimmend. Sich seinem Sentinel zuwendend atmete
Blair tief durch und sagte betont langsam: "Gewiß. Ja, ich meine nun gut, ich werde
Dich heiraten".

Die Antwort schien dem älteren der beiden Männer außerordentlich zu gefallen.
Er küßte keusch Blair's Handrücken bevor er aufstand und sich vorbeugte um
seine Lippen zu küssen. Blair schreckte instinktiv zurück, um der Berührung der
Lippen auszuweichen. Weil er dadurch völlig das Gleichgewicht verlor, landete
der nicht mehr allzu nüchterne Ellison direkt auf Blairs Schoß. Blair riß die Augen
weit auf und ein Lächeln breitete sich langsam über sein ganzes Gesicht aus:
"Ich weiß Du hast mich furchtbar lieb, aber mußtest Du Dich deshalb so *schwer*
in mich verlieben?" Er gluckste hinter vorgehaltener Hand.

Als Jim sich wieder aufgerichtet hatte schaute er den jungen Mann verträumt an:
"Was hast Du Lämmchen" turtelte er und drehte Blair's Gesicht mit einer zärtlichen
Handbewegung wieder zu sich her. Er beugte sich vor und versuchte erneut ihn
zu küssen.

"Du riechst wie eine Bierbrauerei, Du Ochse" beschwerte sich Blair und wendete
seinen Kopf wiederum ab.

Jim sah ein wenig beleidigt aus, als er sich setzte, begnügte sich aber damit, die
Hand zu küssen, die er immer noch festhielt.

"Gratuliere!" Rafe erhob sich um Ellison auf den Rücken zu klopfen und den weit
weniger vergnügten Blair breit anzugrinsen: "Alles, was wir jetzt noch tun müssen
ist, Dir für Deine Hochzeit etwas passendes zum Anziehen zu besorgen"