TEIL III Kapitel 4
Die Sonne stand, in dunkles Gold gefärbt, tief am Horizont, und schickte
ihre letzen Strahlen besonders intensiv durch die halb geöffneten Gardinen
des Krankenzimmers. Heute schien es Natalie endlos zu dauern, bis der Abend
hereinbrach.
Vor kaum zwei Stunden erst, sofort als sie aus der Narkose erwacht war,
hatten zwei freundliche Schwestern sie aus der Intensivstation in ihren
Raum gefahren, aber so benommen und geschwächt wie sie nach der eben
überstandenen Operation noch war, verstrichen die Minuten endlos langsam.
So sehr Nat die bange Frage beschäftigte, was Dr. Hollert ihr bei seiner
Visite wohl über den Verlauf ihres medizinischen Eingriffs mitzuteilen
hatte, mußte sie sich doch eingestehen, daß sie sich nichts
sehnlicher wünschte, als daß die für Vampire tödliche
Helligkeit endgültig schwand. Es war so schmerzlich jetzt alleine zu
sein mit all ihren Sorgen und Ängsten und sie glaubte fest daran, dass
trotz ihres Streites Nick's erster Weg zu ihr in die Klinik führen
würde um ihr in diesen schweren Stunden beizustehen.
Eigentlich hatte sie sogar fest damit gerechnet daß zumindest Adriana und Thorben sich viel früher eingefunden hätten. Unruhig machte sie die Tatsache, daß mit jeder Minute, die verstrich der Beginn der Dienstzeit näher rückte und alle ihre Kollegen mit wichtigeren Dingen beschäftigt sein würden, als ihr die Langeweile zu vertreiben.
<Eigenartig ist es trotzdem, daß niemand der Freunde hier für mich bereitgestanden hat>
dachte sie gerade betrübt, als es leise an der Zimmertüre klopfte. Es war nicht Nick, wie sie insgeheim erhofft hatte, aber Adriana schob vorsichtig ihren schwarzen Lockenkopf durch den Türspalt.
"Hallo, schon ausgeschlafen?" meinte sie aufmunternd.
Die Infusionsschläuche hinderten Dr. Lambert daran sich aufzurichten aber ihre Stimmung hob sich sofort.
"Na endlich" seufzte sie, als ob sie schon tagelang gewartet hätte.
Das junge Mädchen setzte sich zu ihr aufs Bett und lachte auf. Sie
wirkte recht erleichtert, dass alles gut gegangen war. Der befreundete Arzt
hatte ihr die erwartete Erfolgsnachricht bereits überbracht. Alles
war zu ihrer vollsten Zufriedenheit verlaufen. Ihre Gewissensbisse konnten
sich beruhigen.
" Chris, also Dr. Hollert hat
mich eben erst benachrichtigt, daß er mit Dir fertig ist, so lange
habe ich nun auch
nicht gebraucht um her zu kommen."
"Verzeihung, ich bin nur so ungeduldig.
In Wirklichkeit bin ich Dir sehr dankbar, Du bist die Erste, die sich hier
blicken lässt, alle anderen scheinen mich vergessen zu haben."
Adriana' s eben noch fröhlicher Ausdruck veränderte sich.
"Auf Thorben's Besuch wirst Du
vorläufig verzichten müssen, es gab Probleme gestern, ein Verkehrsunfall.
Er ist zwar
nicht all zu schwer verletzt, aber seine Gehirnerschütterung ist ausreichend,
um ihn in der Klinik festzuhalten, ich
komme gerade von dort; und Captain Graham geht es auch schon wieder besser."
Nat starrte sie mit weit offenen Augen an. Sie wußte nicht was sie mehr überraschte, die Tatsache von dem schrecklichen Unglück zu erfahren, oder die Geschwindigkeit mit der ihr die Kollegin alles Wesentliche in einem einzigen Satz zu präsentieren vermochte.
"Das würde ich gerne etwas ausführlicher erfahren, was ist mit Nick ?"
"Nick, Nick! Ich weiß nicht wo er steckt, ich sagte Thorben und der Captain sind verletzt."
die Stimme der Assistentin klang gereizt.
"Bitte, Adriana, erzähl mir alles und ganz ausführlich!"
"Es ist wirklich alles OK und Du sollst Dich nicht aufregen, hat der Arzt gesagt"
die Kollegin versuchte abzuwiegeln. Sie war noch zu verärgert über Detective Knight, um ihren Bericht objektiv zu halten.
"Ich rege mich viel mehr auf, wenn Du mir nicht sagst, was geschehen ist !"
Es war Nat anzusehen, daß sie
nicht locker lassen würde. Adriana gab nach, und außerdem, wenn
jemand ihr das seltsame Verhalten des Detectives erklären konnte, dann
Nat.
Knapp, aber präzise begann sie deshalb die Ereignisse der gestrigen
Nacht vorzutragen, zeigte dabei allerdings deutlich ihre Enttäuschung
über den männlichen Partner.
Natalies Reaktion war wie sie es erwartet hatte, sie nahm Nick sofort in Schutz.
"Er hat doch den Bewohnern des ganzen Stadtviertels das Leben gerettet."
"Ja, lediglich seine Kollegen hätte er verbrennen lassen!" widersprach Adriana unwillig.
"Er wusste, dass er sich auf Janette und Dich verlassen konnte!"
versicherte ihr die Doktorin unbeeindruckt.
"Richtig, ohne Janette hätte
ich keine Chance gehabt, ich weiß nicht warum alleine die Hitze im
Auto, ihr so sehr
schaden konnte, ich habe keine Flammen im Inneren des Wagens bemerkt, aber
sie sah schrecklich entstellt aus."
Adriana war noch immer geschockt von der Erinnerung an diesen Anblick. Um so verwunderlicher erschien ihr daher die Reaktion ihrer sonst so mitfühlenden Chefin:
"Mach Dir darüber keine Gedanken, das heilt sicher schneller ab, als Du erwartest"
und als ein forschender Blick Adriana' s sie traf, fügte sie rasch und ein wenig verlegen hinzu,
"das sieht manchmal durch den Feuerschein schlimmer aus als es ist."
"Ich verstehe ja Deine Eifersucht,
aber es war ein erbärmliches Schauspiel das Dein "Ritter"
uns gestern geboten
hat. Sein Verhalten ist nicht zu entschuldigen."
Nat, in ihrem Bestreben Nick zu verteidigen platzte unüberlegt heraus:
"Feuer würde jemand wie ihn sofort töten !"
und als sie durch den misstrauischen Blick ihrer Assistentin ihren Fehler bemerkte, versuchte sie den Schaden zu begrenzen:
"Du weißt doch, seine Lichtallergie !"
"Ein Mondschein - Kind ?"
Es lag ihr auf der Zunge zu protestieren
und sie als Ärztin zu fragen ob sie jemals die Haut eines solchen Patienten
gesehen habe, doch etwas an Natalies Verhalten hinderte sie. Also heuchelte
sie Verständnis.
Aber in Adrianas feinsinnigem Verstand arbeitete es bereits. Es mußte
ein Geheimnis geben, eines das sie reizte ihm auf den Grund zu gehen !
Noch jemand litt unter der Tatsache, daß er sich alleine gelassen vorkam, - Nick.
Niemand kümmerte sich um den Verletzten
den Fieberphantasien quälten, die ihn in höchste Unruhe versetzten.
Sein Hunger wuchs, er wurde regelrecht zur Bedrohung. Einmal angeregt, fraß
sich die Gier in seinem Inneren fest und nagte unerbittlich an seiner Standhaftigkeit.
Als der Abend dämmerte, war sein Verlangen nach Nahrung so groß,
daß er überzeugt war, seinem Vater selbst ein dargebotenes lebendiges
>Dinner< nicht mehr zurückweisen zu können !- Und daß
dieser das wusste, mehr noch, es sogar darauf anlegte, sich seine Abhängigkeit
zu Nutzen zu machen, daran zweifelte Nick keine Sekunde lang. Wen würde
der Unhold ihn zwingen zu töten. Dieser Gedanke peinigte ihn unablässig
!
Verzweifelt dachte er an Nat. Wieso kam sie nicht um ihm zu helfen. Ihre
mentale Unterstützung - UND ihre Blutkonserven wären die Rettung
! Machte sie sich nicht einmal mehr Sorgen um ihn ? Sie mußte inzwischen
von Janettes Verhaftung und dem Unfall erfahren haben. Wo steckte sie nur
? Es war das erste mal, daß sie nicht mit an einem Tatort erschienen
war. Vielleicht dienten ihr ja die vielen Überstunden als Anlaß
für einen freien Tag. In seiner Nervosität hatte er gestern ganz
versäumt sich bei Adriana wegen ihrer Abwesenheit zu erkundigen.
La Croix wußte genau, was sein
Patient nun fühlte. Er spielte mit dem Gedanken Nicholas zu versuchen.
Welch köstlicher Spaß ihm ein zartes Menschengeschöpf zur
Heilung zu offerieren. Es fiel ihm schwer seiner zynischen Laune nicht nachzugeben,
aber er hatte anderes im Sinn. Er kannte seinen Zögling gut genug um
zu wissen, daß selbst, falls dieser der Versuchung erliegen würde,
es nur um so stärker seinen Widerstand gegen ihn erregte. Dieses Mal
aber wollte er nur eines erreichen: Dankbarkeit.
Er schenkte seinem umfunktionierten
Weinregal besonders konzentrierte Aufmerksamkeit und überprüfte
den Inhalt der ausgewählten Flasche mit höchster Sorgfältigkeit.
< Dank schafft Sympathie >
murmelte er versonnen, aber würde er damit auch seine Zuneigung gewinnen ? Immerhin brach es den inneren Widerstand und das war ihm für's Erste schon Sieg genug. Er musterte das Etikett. <Bien!> Dieser Tropfen schien ihm geeignet für seinen Plan.
Als er an das Krankenbett seines Sohnes trat, starrten leuchtend grüne
Augen ihn haßerfüllt und abwehrend an. Nick's Körper jedoch
ruhte schlaff und hilflos auf seinem Lager. Die blutigen Tropfen auf seiner
Stirne zeugten noch von den durchlittenen Qualen die ihm seine internen
Kämpfe bereitet hatten.
Bedächtig beugte La Croix sich zu ihm hinunter um ihm fürsorglich
den kalten Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Nick wehrte sich nicht,
doch er lauerte jeden Moment auf die bevorstehende Boshaftigkeit, deren
Erwartung ihn seit Stunden in Panik versetzte. Wann würde es dem Vampir-Vater
gefallen ihn zum Gehorsam zu zwingen. Und wen würde er ihm als Mahlzeit
präsentieren?
Wieder bildeten sich feuchte rote Spuren auf seiner Haut. Doch Erstaunen
wich seiner Verunsicherung, als ihm sein Vater statt einer menschlichen
Beute eine weitere Flasche seiner Reserven anbot.
Versonnen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, schaute der alte Vampir
zuerst auf das Etikett und schließlich tief in die Augen des verletzten
Gefährten, die sich langsam erleichtert entspannten und ihre tiefblaue
Färbung zurückgewannen. Es war ein freundliches Lächeln und
ein dankbarer Händedruck, den LaCroix entgegennehmen konnte.
Zufrieden verließ der Besucher den verwirrten Patienten. Doch um seine Mundwinkel spielte kaum wahrnehmbar ein Lächeln, das Nick nicht zu deuten vermochte. Die Flasche barg ein Geheimnis es war kaum anzunehmen, daß sie ihre Wirkung nun noch verfehlte.
Nick klammerte sich geradezu an die
dargebotene Nahrung. Mit zitternden Händen führte er die Flasche
zum Mund, bedacht darauf auch nicht einen einzigen Tropfen daraus zu verschütten.
Das Gebräu stillte das Verlangen und spendete Nick Kraft. Die Anstrengung
der inneren Auflehnung hatte ihn erschöpft. Er sehnte sich nach erholsamem
Schlaf. Entspannt lehnte er sich in sein Kissen zurück. Seine Sinne
konzentrierten sich auf die Empfindungen, die der genossene Menschensaft
auf ihn auszuüben begann.
LaCroix hatte eine gute Wahl getroffen. Es waren angenehme Gefühle,
die den unfreiwilligen Spendern in den letzen Stunden den Tod erleichtert
hatten. Es war weder Furcht noch Qual oder gar Abwehr herauszulesen. Sie
schienen die Situation geradezu genossen zu haben.
Ungemein beglückende, ja geradezu leidenschaftliche Impulse regten
Nikola's Sinne an.- Leidenschaft für LaCroix ? - Es war nicht zu leugnen,
all diese Menschen mussten ihm sehr zugetan gewesen sein. Nick wunderte
sich. Es musste also auch Frauen gegeben haben, die diesen Unhold geliebt
hatten, - so wie seine Schwester Fleur.
Während Nick in flachen Halbschlaf
driftete, erinnerte er sich der sanften, liebenswerten Zärtlichkeit
mit der das sonst so kalte Monster dieser zarten Blume begegnet war. Und
nun machte das Blut, das er gekostet hatte, ihn zum Zeugen dessen unerwarteter
Sinnlichkeit die er am eigenen Leibe nachzuvollziehen vermeinte.
Es schien, als tastete er die Sanftheit dieser Hände auf seiner Haut,
als spürte er den leichten Hauch seines Atems und die elektrisierende
Wirkung dieser betörenden Stimme ließ heiße Wellen des
Wohlbehagens durch seinen Körper fluten. Sie erweckten den Wunsch sich
fallen zu lassen in eine allumfassende Behaglichkeit, sodass der messerscharfe
tödliche Biss am Höhepunkt der gesteigerten Erregung die Harmonie
nicht störte, sondern im Gegenteil dazu führte in befriedigenden
endlosen Schlummer hinabzusinken.
Als Nick erwachte war es noch Tag. Er fühlte sich unbeschreiblich wohl.
Nach all den Jahrelangen Seelenqualen die sein vergebliches Auflehnen gegen
sein Vampirdasein ihm bereiteten, hatten seine Sinne Ruhe gefunden. Und
die gefüllte Flasche die er in seiner Reichweite ausmachte, gab ihm
Sicherheit.
Er kostete davon. LaCroix musste sie, als er schlief, unbemerkt ausgetauscht
haben. Er hatte seine Überlegenheit also auch dieses Mal nicht ausgespielt.
Auch er war also fähig zu lieben. Seine Zuneigung zu ihm, seinem Sohn,
jedenfalls, schien aufrichtig zu sein. Vielleicht hatte er seinen Mentor
verkannt und ihm unrecht getan !
Er klopfte sein Kissen zurecht, um es sich die restlichen Stunden des Tages
im Bett bequem zu machen. Dem feuchten Fleck darauf, ganz in der Nähe
seiner Halsschlagader schenkte er kaum Beachtung, wahrscheinlich hatte er
vorhin ein wenig Flüssigkeit verschüttet, als er im Liegen getrunken
hatte.